Colloquienberichte

Im Folgenden finden Sie Berichte über abgehaltene Colloquien.

Colloquium 2016: Islam und europäische Freiheitsrechte

„Der“ Islam – (ein) zentraler Konfliktherd um europäische Freiheitsrechte?

Colloquium - Teil 1 (2016)

Das Gesamtthema „Der“ Islam – (ein) zentraler Konfliktherd um europäische Freiheitsrechte? besteht aus zwei Teilen: zum einen „dem“ Islam, zum anderen dessen Einfluss auf europäische Freiheitsrechte: Ist der Islam ein zentraler Konfliktherd … oder gar der einzige Konfliktherd um europäische Freiheitsrechte? Das Thema endet mit einem Fragezeichen: als offene Fragestellung.

Professor Dr. Bassam Tibi (Universität Göttingen) skizzierte in seinem Vortrag „Bedeutung und heutige Chancen für einen „Euro-Islam“. Und: Ist Europa geistig vorbereitet auf die Integrationsanforderungen der vielen muslimischen Flüchtlinge?“ seine Vision eines „Euro-Islam“ (nicht zu verwechseln mit dem in Europa real existierenden Islam!) u.a. so: Trennung von Religion und Politik, keine Scharia, Anerkennung der Demokratie als politischer Kultur und individueller Menschenrechte incl. Religionsfreiheit. Solange die derzeitigen Verbände den Islam in Deutschland und Europa repräsentieren und für ihn Sprachrohr sind, sieht er wenig Chancen auf Realisierung seiner Vision.

Weder Deutschland noch Europa seien für die zu bewältigende Integrationsaufgabe der vielen muslimischen Flüchtlinge vorbereitet: Zu sehr werde Zuwanderung nur administriert, zumindest Deutschland tue sich damit schwer sich als Einwanderungsland zu verstehen. Die deutsche Bundesregierung habe kein Konzept für das, was man wirklich Integration nennen könnte. Aber auch Migrationswissenschaften spielten in Deutschland kaum eine Rolle, weder akademisch noch in der Politik.

Wie alle anderen Referenten wurde Prof. Tibi gebeten, auf folgende zwei Fragen einzugehen:

1. Welche Bedingungen müssen seitens Staat und Gesellschaft einerseits und seitens der Muslime und deren Institutionen andererseits erfüllt sein, damit die Integration der Muslime in Deutschland und Europa deutlich verbessert wird?
2. Würden diese Integrationschancen durch das System des französischen Laizismus (im Vergleich zum deutschen Kooperationsmodell) eher verbessert oder verschlechtert werden?

Auf die erste Frage antwortete Prof. Tibi, dass Europa zwar kategorial mehr Migranten aufnehme als etwa die USA (dort bisher 70.000 pro Jahr, unter der Trump-Administration sei nicht einmal das sicher), sie dort aber zu Amerikanern würden, hier jedoch nicht zu Europäern. Bedarf sieht er vor allem für kulturelle Änderungen, auf die Kurzformel gebracht: Die Muslime hier seien nicht integrationswillig, die deutsche (und viele andere europäische) Gesellschaft(en) seien nicht integrationsfähig. Veränderungsbedarf bestehe also auf beiden Seiten.

Bezüglich der zweiten Frage erklärte Prof. Tibi, dass im öffentlichen Leben Religion zuzulassen den Frieden gefährde. Die Scharia habe in Europa nichts zu suchen. Er sprach sich nachdrücklich für das französische Modell der Laicité aus – im deutschen Kooperationsmodell würden sich letztlich nur die scharia-geprägten islamistischen Islamverbände durchsetzen, die jetzt schon in Deutschland den Ton angäben.

Dr. Thorsten G. Schneiders zufolge sei der Salafismus – eine spezifische Form des sunnitischen Islamismus, der sich stark an der (natürlich wenig dokumentierten) Urgemeinde z. Zt. Mohammads und seiner unmittelbaren Nachfolger orientiert – für Jugendliche attraktiv, weil dieser einfache Botschaften sowie Gemeinschaftsgefühl vermittele (gemeinsamer Kampf für ein Ziel, trotz aller Einschränkungen, die dieser mit sich bringe) und eine Protestform darstelle gegen die (häufig relativistische) Umgebung, aber auch gegen die internationale Politik. In seinem Vortrag unter dem Titel „In der Spirale aus Hass und Gewalt: Wie Salafisten und Islam-Feinde die Republik gefährden. Zum Islam und Islamismus in Deutschland“ erklärt er, dass es den Salafismus in mehreren Varianten gebe, in seiner djihadistischen wende er für seine Ziele Gewalt an (wie z.B. der IS). Insgesamt gebe es in Deutschland 9.200 Salafisten (zuzüglich einer Dunkelziffer), davon seien 1.200 gewaltbereit und 500 akute „Gefährder“. Die Gewaltbereiten stellten zwar nur 0,2% aller Muslime in Deutschland dar, seien gleichwohl eine große Herausforderung für Gesellschaft und Staat, speziell für die Sicherheitslage.

Islamfeindlichkeit gebe es individuell, medial, literarisch und vor allem auch politisch, inzwischen mit der AfD als Sprachrohr. Sie dringe in die Mitte der Gesellschaft vor. Sie könne Vorbehalte gegen Ausländer kaschieren („aber es gibt doch … z. B. die Sylversternacht 2015 in Köln“). Sie gebe es aber auch mit Übergriffen auf Menschen und Institutionen (Brandstiftungen bei Asylantenheimen etc.). Wo läge der Unterschied zwischen Islamfeindlichkeit und Islamkritik: in Pauschalisierungen, Vorurteilen, Beleidigungen, Alarmismus. So habe de facto die 2./3. Generation kaum mehr Kinder als die einheimische Bevölkerung, zudem könnten 6% Muslime an der europäischen Gesamtbevölkerung diesen Kontinent nicht in einen islamisch-geprägten umwandeln.

Es entwickele sich in Deutschland und Europa eine Eskalationsspirale. Sie beschäftige die Öffentlichkeit, vor allem auch über die Medien, und natürlich zunehmend die Sicherheitskräfte. Auf die Frage nach den Bedingungen, die seitens Staat und Gesellschaft einerseits und seitens der Muslime und deren Institutionen andererseits erfüllt sein müssten, damit die Integration der Muslime in Deutschland und Europa deutlich verbessert werde, antwortete Dr. Schneiders, dass möglichst nicht zwischen Muslimen und Mehrheitsgesellschaften getrennt werden und die Religion ordentlich einsortiert werden sollte.

Bezüglich der Integrationschancen hält er den französichen Laizismus für überhaupt keine bessere Integrationsgrundlage.

Colloquium - Teil 2 (2016)

Zu Beginn seines Vortrags „Scharia, Grundgesetz und deutsches Recht: Gibt es gemeinsame Schnittmengen? Was hat Geltungsvorrang?“ wurde Dr. Cefli Ademi der Universität Münster mit der Aussage von Prof. Bassam Tibi konfrontiert, die Scharia könne man nicht auf den Koran zurückführen, denn nur in einer Sure werde der Begriff überhaupt erwähnt, habe dort aber die Bedeutung von Weg/Ritus bzw. Moralität, die nichts mit Rechtssystem o.ä. zu tun habe [vgl. auch Bassam Tibi, Euro-Islam, 2009, S. 120, 123]. Diese Interpretation teilte Dr. Ademi nicht.

Das GG, das Interesse an ethischen Werten manifestiere, verlange, dass durch das Glaubensleben des Einzelnen niemand behindert werde. Das GG beanspruche einen praktischen Geltungsvorrang vor allen religiösen Gesetzen und Rechtssystemen, mithin auch vor der Scharia. Auch wenn die Rechtsstaatlichkeit in Deutschland säkularen Charakter habe, sei das Verständnis von religiös-weltanschaulicher Neutralität nicht distanziert wie etwa im laizistischen Frankreich, sondern positiv und offen, die Religionen (und Weltanschauungen) prinzipiell fördernd.

Unter dem Begriff der Scharia werde die Gesamtheit der von den Muslimen zu befolgenden ethischen, moralischen und rechtlichen Bestimmungen gefasst. Die Scharia kenne keine gesetzliche Kodifizierung; eine solche sei ihr wesensfremd. Es gebe nur eine Scharia, aber mehrere Verständnisse derselben. Einzig Gott kenne die absolute Wahrheit; der Mensch sei Sachwalter mit limitiertem Verständnis-Horizont, deshalb bleibe das jeweilige Scharia-Verständnis menschlich. Allein im sunnitischen Islam gebe es neben den 4 großen insgesamt bis zu 400 Rechtsschulen mit in einzelnen Punkten unterschiedlichen Verständnissen. Dabei böten die sich auf den Gottesdienst beziehenden Scharia-Normen nur geringen Interpretationsspielraum, jedoch sehe das für den zwischenmenschlichen Bereich ganz anders aus. Der Gottesdienst ziele auf individuelle Läuterung, andere Normen eher auf Gerechtigkeit und Frieden. Viele Normen entstünden aus Gewohnheiten, seien kein Selbstzweck, sondern wegen spezifischer Ziele gebildet. Der größte Teil der Scharia bestünde in Ethik, es gebe nur wenig Ge- und Verbote.

Zum Verhältnis von GG und Scharia führte Dr. Ademi aus, dass das GG praktisch Geltungsvorrang besitze. Oft bestünde jedoch kein Gegensatz zwischen beiden: So gebe es große gemeinsame Schnittmengen zwischen beiden etwa beim Schutz des Lebens oder dem Schutz des Eigentums.

Im Internationalen Privatrecht werde etwa bei Ehe- oder Erbschaftsstreitigkeiten zwischen Muslimen auch in Deutschland die Scharia angewendet, sofern dadurch nicht der „ordre public“ verletzt werde.

Gefragt nach der französischen Laicité sah er keine Integrationsvorteile für Muslime in diesem System; mit dem deutschen Kooperationsmodell könne man gut, wohl auch besser als mit dem französischen System zurecht kommen.

Nicht der Wahrheitsanspruch selbst mache eine Religion oder Weltanschauung radikal, sondern erst die politische Durchsetzung dieses Absolutheits-Anspruchs, so die Kernbotschaft von Professorin Dr. Christine Schirrmacher in ihrem Vortrag „Welcher Islam passt zu Deutschland, zu Europa?“

Seit 1961 wurden Gastarbeiter angeworben, darunter auch muslimische. Das Diktum von Max Frisch benennt den dabei zu wenig beachteten kritischen Punkt: „Wir riefen Arbeiter und es kamen Menschen.“ Seit damals habe man sich bis heute zu wenig Gedanken gemacht über eine ernsthafte Integration dieser Menschen. Dies sei auch erschwert worden durch die Islamverbände, die sich zum Sprachrohr der hiesigen Muslime gemacht hätten, obwohl sie nur eine Minderheit der Muslime in Deutschland repräsentierten. Sie folgten einem politischen Islam. Dieser halte die Gesetzgebung Muhammads und die nach seinem Tod aus Koran und islamischer Überlieferung – erst 200-350 Jahre nach dessen Tod sei sie verschriftlicht worden und beinhalte somit schon viel Kulturelles – herauskristallisierte Scharia-Gesetzgebung für unaufgebbar. Dieser Islam passe weder zu Deutschland noch zu Europa. Sie arbeiteten auch mit Verunglimpfungen und Druck gegen muslimische Stimmen, die Aufklärung und Distanzierung anmahnten von einem politischen Islam, der zwischen Politik und Religion nicht hinreichend trenne.

Auf die Frage nach den Voraussetzungen für eine bessere Integration antwortete Prof. Schirrmacher, dass das Konzept von Integration in Deutschland neu überdacht werden müsse. Was macht Deutschland, was macht Europa im Kern aus? Will man Werte vermitteln und wenn ja, welche? Auf muslimischer Seite wären die Imame stärker einzubinden. Leider existiere ein europäischer Islam noch nicht; freiheitlichen Denkern hier käme eine wichtige Funktion zu, deren Einschüchterung müsse aufhören.

Zur zweiten Frage erklärte Prof. Schirrmacher, das Modell des französischen Laizismus sei überhaupt keine Lösung, weil darin jeder verdächtigt werde, der ein Bekenntnis äußert; das schaffe Misstrauen auf allen Seiten. Missionsversuche gebe es selbst in Frankreich dauernd, auch durch Weltanschauungen. Mit dem deutschen Kooperationsmodell könne man gut hinkommen, zumal der Staat sich im Sinne echter Religionsfreiheit mit keiner Religion oder Weltanschauung identifiziere.

Im nächsten Teil dieses Colloquiums soll es um europäische Freiheitsrechte gehen. Um welche? Sicher um die Religionsfreiheit (Art. 4 GG und Art. 9 Europäische Menschenrechtskonvention [EMRK]), wo die Stichworte Kopftuch der Lehrerin, Burka-Verbot, in Frankreich der Burkini-Disput mit der Groteske der Polizei am Badestrand, islamischer Religionsunterricht, Ausbildung islamischer Lehrer an deutschen Universitäten, Anerkennung islamischer Gemeinschaften als Körperschaften öffentl. Rechts usw. für hinreichend Konfliktstoff mit dem Islam sorgen. Auch die Kontroverse um die Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“, die zu dem verheerenden Attentat von Paris im Januar 2015 führte, hat mit dem Islam zu tun.

Des weiteren geht es um die Freiheitsrechte der Meinungsfreiheit (Art. 10 EMRK) sowie der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (Art. 11 EMRK) und, jedenfalls mittelbar, um das Diskriminierungsverbot (Art. 14 EMRK).

Ist bei all diesen nur der Islam Konfliktstoff? Oder gibt es auch andere wie etwa die Kontroverse um Schulkreuze in italienischen Schulen, die von der laizistisch orientierten Mutter Lautsi ausgelöst und letztlich erst von der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte 2011 entschieden wurde. Oder das vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschiedene Verfahren um die sog. Rudolf-Heß-Gedenkfeiern einiger Neo-Nazis in Wunsiedeln, die mit Religion gar nichts, mit Meinungs- und Versammlungsfreiheit aber erheblich zu tun haben.

Im folgenden Teil des Colloquiums sollen diese Themen im Mittelpunkt stehen.

Fotos: Friedrich Ledermann

Zurück