Colloquienberichte

Im Folgenden finden Sie Berichte über abgehaltene Colloquien.

Colloquium 2011: Zum Miteinander einmaliger Freiheitswesen

Personen

Colloquium 2011

Entgegen dem immer wieder anzutreffenden Versuch, die dynamische Wirklichkeit der Person auf einen vereinfachenden Begriff zu verkürzen, war es Zielsetzung des Colloqiums des Lindenthal-Instituts 2011 anhand von drei zentralen Aspekten der Person - Einmaligkeit, Freiheit und Miteinander - sich dem Reichtum und unserem Verständnis der Wirklichkeit von Personen zu nähern. 

Zur Einführung in den ersten Teil des Kolloquiums am 21. Mai 2011 fragte der Direktor des Instituts, Dr. Hans Thomas, ob "Person" überall im gleichen Sinne verstanden wird. Mit Blick auf den interkulturellen Dialog, zumal über Menschenrechte, zeichnete er anhand chinesischer Autoren für die Würdigung des Einzelnen die zentralere Bedeutung sozialer Zugehörigkeit zu Familie, Sippe, Gemeinwesen, Nation nach. Selbst bei uns stehe ein einheitliches Verständnis zunehmend in Frage. Bioethik, Rechtsprechung und Neurowissenschaften nährten Zweifel, ob alle Menschen Personen seien. Die Soziologie neige dazu, die Person in ihre (sozialen) Rollen zu zerlegen, so dass die Person als deren Träger schwer zur Ansicht komme. Demgegenüber wies Thomas hin sowohl auf die antike Herkunft des Begriffs Person aus dem Theater (i.S.v. Maske, Rolle) als auch auf die starke Akzentuierung der Person als Individuum mit Wurzel im griechischen Substanzdenken. Beide Engführungen habe das Christentum überwunden: das Rollenverständnis durch die Schöpfungs- und Erlösungslehre, den bloßen Individuumscharakter durch die Trinitätslehre, die das "Miteinander von Personen", den Beziehungscharakter des Personseins herausstellt.

Prof. Dr. Robert Spaemann bestimmte am selben Nachmittag die Person als ein Wesen, das eine Natur hat, aber sie nicht ist. Die Person ist zwar verwiesen auf ihre biologischen, sozialen und kulturellen Bedingtheiten und kann davon nicht getrennt werden. Aber die Person ist immer frei, sich zu diesen Bedingtheiten zu verhalten. Anschaulich wurde dies, als Spaemann die Person als ein Wesen bestimmte, das fähig ist zu versprechen, zu bereuen und zu verzeihen. In diesen Akten transzendiert sich die Person. Und darin zeigt sich das besondere Selbstverhältnis eines Wesens, das sich zu sich selbst verhalten und zu sich selbst und anderen Stellung nehmen kann. An die Fähigkeit zur Selbsttranszendenz knüpfte Spaemann den Grundgedanken der spezifischen Unzeitlichkeit der Person. Mit ihr begründete er auch das Personsein eines jeden Menschen auf Grund seiner biologisch-genetischen Zugehörigkeit zur Spezies Mensch: Weil die Person ein Moment der Unzeitlichkeit oder Ewigkeit auszeichnet, ist jede zeitliche Zuschreibung des Personseins willkürlich. Zudem setzt Zuschreibung immer ein Machtverhältnis: Diejenigen, die schon als Personen gelten, definieren, wer zum Kreis der Personen noch gerechnet werden darf. Den anderen als Person anerkennen ist hingegen eine freie Handlung, mit Auswirkung allerdings auf unser Selbst- und Fremdverhältnis.

"Die Person - Wesen der Freiheit" war der Thema von Prof. Dr. Theo Kobusch: Die Freiheit des Menschen unterscheidet ihn wesentlich von jeglichem anderen Sein in der Natur. Personen sind moralische Wesen. Im Kontrast zum griechischen Substanzdenken wiesen zuerst die Kirchenväter die Person als Wesen der Freiheit aus. Insbesondere in den christologischen Untersuchungen des 13. Jahrhunderts wird, wie Kobusch darlegte, diese Sicht entfaltet. Nachweislich bei Bonaventura wurde die Freiheit mit der Bestimmung der Würde verbunden. Von hier aus zeichnete Kobusch zwei neuzeitliche, noch heute maßgebende Personbestimmungen nach, die beide in der hypostasierten Freiheit wurzeln. Die Lock"sche Auffassung von Selbststand und Selbstreflexion könne auf den Franziskaner Petrus Olivi zurückgeführt werden, diejenige Kants entwickle sich über Bonaventura, Suarez und Pufendorf. In beiden Fällen zeigt sich der bleibende Einfluss der mittelalterlichen Theologie und Philosophie bis hinein in den modernen Personbegriff. Ein notwendiges Miteinander der Freiheitswesen und die Begründung einer Verwiesenheit der Person auf andere Personen findet Kobusch hingegen erst in der Neuzeit, insbesondere in der Hegelschen Rechtsphilosophie und deren Weiterentwicklungen bei Chalybäus.

Auf die philosophischen Analysen des ersten Teils folgten am 8. Oktober zwei Referate, die den historischen Bogen von den juristischen Anfängen im römischen Recht bis zu den aktuellen Dekonstruktionen des klassischen Personbegriffs in der Gendertheorie spannten. Den Anfängen der Entwicklung unseres heutigen Personbegriffs im römischen Recht ging Priv.-Doz. Dr. Jakob Fortunat Stagl nach. Ursprünglich als Recht der Stände etabliert, unterschied das römische Recht zwischen voll rechtsfähigen freien Personen (so der pater familias) und Sklaven oder sonst abhängigen Personen: bis zum Tode des pater familias dessen Kinder, insbesondere Frauen. Bis etwa um die Geburt Christi war das ius personarum ein in diesem Sinne in höchster Schärfe ausgearbeitetes Rechtssystem. In den folgenden Jahrhunderten änderte sich, wie Stagl aufzeigte, zwar nicht das formale Recht, sehr wohl aber änderten sich im praktischen Leben, und zwar erheblich, die Einstellungen gegenüber den Rechtssubjekten im Sinne einer zunehmenden Gleichheit der Personen. Triebkraft war der soziale Wandel innerhalb der römischen Welt in Verbindung mit der Entwicklung einer römischen naturrechtlichen Tradition. Für Stagl waren hier  christliche Einflüsse möglicherweise von Bedeutung. Nicht offiziell abgeschafft, aber kontinuierlich unterhöhlt, verwandelte sich das diskriminierende Personenrecht so zu einem uns heute eher vertrauten Umgang mit Personen gleichen Rechts, wie der Wandel von den "Institutionen des Gaius" aus der Mitte des 2. Jahrhunderts zum Rechtssystem unter Kaiser Justinian im 6. Jahrhundert nahelegt.

Den zeitlichen Sprung von den Anfängen unseres Personverständnisses hin zur gegenwärtigen Dekonstruktion übernahm Prof. Dr. Dr. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz  in ihrem Vortrag " Junge oder Mädchen? Das lassen wir es später selber mal entscheiden! Über Spielraum und Grenze von Geschlechterrollen" Die Gendertheorie, nach der die Geschlechtlichkeit nicht biologisches Faktum, sondern soziales Konstrukt ist, löst eine für unser Personverständnis konstitutive Identität auf - mit der Folge einer Dekonstruktion des Personbegriffs. In ihreAusführungen analysierte Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz die historische Entwicklung und die dekonstruktivistische Radikalität dieser Theorie, die bereits in Rechtsvorschriften und Regelungen weltweit hineinwirkt. Geschlechtlichkeit als Rollenkonstrukt neutralisiert die Differenz von Mentalem und Leiblichem. Der Leib wird zum neutralen Körper und damit zum Konstruktionsobjekt mit ständig verfügbarer, sich wandelnder, fließender Identität. Ihr gegenüber fordert Gerl-Falkovitz eine Phänomenologie des Leibes mit integrierter Geschlechtlichkeit und personaler Gestaltung der Sexualität.


Auf der Grundlage des Colloquiums ist ein Sammelband erschienen.
Zur Neuerscheinung.

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